Europäische Sozialrechtskoordinierung
Der Europäische Gesetzgeber verfolgte bereits seit den Römischen Verträgen die Zielsetzung, zur Herstellung vor allem der Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber auch der Niederlassungsfreiheit ein System einzuführen, das es den Angehörigen eines Mitgliedstaates ermöglicht, bei einem beruflichen Wechsel in das europäische Ausland die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruches und für die Berechnung der Leistungen sicherzustellen sowie die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen, zu garantieren (vgl Art 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV). Diesem Postulat folgend, wurden bereits sehr früh nach Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die VO (EWG) Nr 3 und 4 im Jahre 1958 verabschiedet, später die VO (EWG) Nr 1408/71 und 574/72 und zuletzt die VO (EG) Nr 883/2004 und 987/2009 unter der Zielsetzung einer umfassenden Modernisierung und Vereinfachung des koordinierenden europäischen Sozialrechts („SLIM“ = Simpler Legislation for the Internal Market).
Lange Zeit wurde kein Bedürfnis dafür gesehen, die berufsständischen Versorgungswerke in das europäische Koordinierungsrecht mit einzubeziehen, weil diese kaum rentenrechtlich wirksame Wartezeiten kennen, ihre Mitglieder also im Ausland zurückgelegte Versicherungszeiten nicht für die Erlangung eines Leistungsanspruchs benötigen. Dies begegnete nach der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes unter dem Blickwinkel der Freizügigkeit zunehmend europarechtlichen Bedenken, zumal auch in den freien Berufen die grenzüberschreitende Berufsausübung immer häufiger zu beobachten war. Der Bedarf nach einer sachgerechten Regelung entstand nicht zuletzt auch deshalb, weil Selbständige bei einer Tätigkeit im europäischen Ausland oftmals mit einem Sozialversicherungssystem konfrontiert sind, das eine Versicherungspflicht vorsieht. Ebenso kamen mehr und mehr ausländische Freiberufler in die Bundesrepublik und legten Beitragszeiten in den berufsständischen Versorgungswerken zurück. Um dem Rechnung zu tragen, waren es die berufsständischen Versorgungswerke in Deutschland und Österreich, die als erste – mit der Änderungsverordnung (EG) Nr 647/2005 vom 13. April 2005 – dem Anwendungsbereich der (früheren) VO (EWG) Nr 1408/71 beitraten. Seit dem Inkrafttreten der neuen Koordinierungsverordnung (EG) Nr 883/2004 zum 1. Mai 2010 (mit Wirksamwerden ihrer Durchführungsverordnung (EG) Nr 987/2009) sind alle berufsständischen Versorgungswerke in Europa in den Koordinierungsmechanismus einbezogen, da es für sie einen Anwendungsvorbehalt nach dem Vorbild des früheren Anhangs II (I.) VO (EWG) Nr 1408/71 nicht mehr gibt.
Die Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen eV (ABV), die für die berufsständischen Versorgungswerke die Funktion der nationalen Verbindungsstelle gegenüber ausländischen Trägern wahrnimmt, stellt nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa das im Rahmen der Entsendung erforderliche Formular A 1 für Personen aus, die vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat entsandt oder dort vorübergehend selbstständig tätig und nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, jedoch Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind und die Weitergeltung des deutschen Rechts erlangen wollen.